Alternativwirtschaft in Freiburg

Die Spechtpassage

Die Familie Bernhard Specht betrieb auf dem Gelände zwischen Wilhelmstraße und Schnewlinstraße seit 1926 eine Kohlen- und Heizölhandlung, die zunehmend weniger Umsatz machte. Die Bauten stammten aus den Jahren 1890 bis 1903 und hatten Anschluss an den ehemaligen Güterbahnhof. Wegen des Niedergangs des Geschäfts vermietete die Familie Specht immer mehr Räume der ehemaligen Ställe und Lagerräume an kleine Betriebe: 1975 an den Buchladen Jos Fritz, 1976 an die Bundschuhdruckerei (ab 1978  Druckwerkstatt im Grün), an eine Keramikwerkstatt und an Nora Glanz, die für ihr Café den Namen Jos Fritz usurpierte. Auch die sehr großen Wohnungen wurden an Wohngemeinschaften vermietet. Als einer ihrer Söhne 1984 mit einem Kinobetrieb in Waldkirch Konkurs anmelden musste, stand auch die Familie Specht vor dem Konkurs und suchte einen Käufer für das Grundstück.
Buchladen, Café und Druckwerkstatt bemühten sich um die Finanzierung. 40 Einleger zahlten auf ein Treuhandkonto 350.000 DM ein, aber es gab ein Hindernis ganz anderer Art: Die Stadt hatte das Quartier „Im Grün“ zum Sanierungsgebiet erklärt, hatte ein Vorkaufsrecht und musste jeden Kauf und jede Kreditaufnahme genehmigen. Oberbürgermeister Böhme, Aufsichtsratsvorsitzender der Sparkasse, wies diese an, keinen Kredit zu gewähren.  Deutsche Bank und Commerzbank schlossen sich an. Mit der Mitarbeiterin des Cafés, Martina Tripp wurde in Oberkirch die Immobilienfirma „Martina Tripp Vermögensverwaltung GmbH & Co KG“ gegründet, die – vertreten durch den Freiburger Anwalt Gustav Schnepper – innerhalb von zwei Monaten das Grundstück für 1,5 Mio. DM kaufen konnte. Die Stadt war über den auswärtigen Käufer hocherfreut und genehmigte im November 1986 ohne Umstände den Kauf. Die Finanzierung wurde durch die Stiftung „Umverteilen für eine solidarische Welt“ ermöglicht, die ein Erbe von 40 Mio. DM verwaltete, das großteils in Grundstücken von Alternativbetrieben und gemeinschaftlich genutzten Wohngebäuden vor allem in Berlin angelegt war.
Ziemlich blauäugig wurde der Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft „basisdemokratisch“ gestaltet. Die Mieter von Wohnungen und Gewerbeflächen hatten umfassende Mitentscheidungsrechte. In monatlichen Versammlungen sollte über die Reparatur der maroden Gebäude, Neuvermietung, Miethöhen gemeinsame Werbung etc. entschieden werden. Zunehmend wurde klar, dass die Mieter Maximen der Hausbesetzer huldigten, und von einer Kostendeckung für Reparaturen nichts wissen wollten. Es blieb schließlich nichts anderes übrig, als der beharrlichen Weigerung, höhere Mieten zu akzeptieren, mit Prozessen zu begegnen. Mit Hilfe besonnener Kommanditisten wurden im Gesellschaftsvertrag die Mitbestimmungsrechte der Mieter beseitigt. 1999 wurde für die KG ein Formwechsel durchgeführt, so dass die Spechtpassage GmbH  Eigentümerin wurde. Die meisten Kommanditanteile wurden gespendet, der Rest ausgezahlt. Die Stiftung Umverteilen wollte aus verständlichen Gründen eine Zinsanpassung nach unten nicht mitmachen, daher wurden die gesamten noch bestehenden Darlehen von 1,3 Mio. DM auf die „Rheinhyp Mannheim“ umgeschuldet. Alle Privatdarlehen wurden dabei zurückgezahlt.
Selbst die langsame Steigerung der Mieten erlaubte nur eine mäßige Instandhaltung der Gebäude. Knapp 100.000 DM jährlich wurden ausgegeben, was unterhalb der Abschreibung lag. Größere Reparaturen konnten nur durch neue Darlehen finanziert werden. Ein Brand im Kopfbau der Spechtpassage Ende November 2000 wurde zum Epocheneinschnitt in der Passage. Eine Restaurierung war wirtschaftlich unmöglich, so beschloss die GmbH durch einen Neubau den Bestand wiederherzustellen, jedoch drei zusätzliche Stockwerke mit Wohnungen zu errichten, durch deren Verkauf das Vorhaben zur Hälfte finanziert wurde.
Der Neubau war im Februar 2006 bezugsfertig. Die grundlegende Renovierung des Altbestandes erfolgte schrittweise bis heute (2018). 2013 wurde das Wohnhaus an der Wilhelmstr. 15 aufgestockt und eine zusätzliche große Wohnung geschaffen. Die meisten Kleinbetriebe verließen die Passage: Druckwerkstatt, Lederwerkstatt, Metallbauer, zwei Taxibetriebe, ein Fotograph, eine Schneiderin, die Keramikwerkstatt und auch das „Archiv für Soziale Bewegung“. Von den ursprünglichen Mietern sind nur noch Buchladen und Cafe vorhanden. Auch alle Wohnungsmieter wechselten. Die Verbindlichkeiten der Spechtpassage GmbH sind etwa doppelt so hoch wie beim Kauf 1986. Hauptgläubiger ist die Sparkasse Freiburg. Das ursprüngliche Konzept von zusammen leben und arbeiten ist vollständig gescheitert. „Alternativ“ war die Spechtpassage nie. Was hierbei wirtschaftlichen Zwängen oder unüberbrückbaren persönlichen Differenzen zuzurechnen ist, bleibt offen.