Alternativwirtschaft in Freiburg

War da was?

Die wirtschaftliche Bedeutung der Alternativbetriebe in Freiburg war marginal. Selbst wenn man einzelne Betriebe sonst in der Stadt: Radgeber, Brillenladen im Stühlinger, Gewerbehof im Stühlinger, Baukoperativen im Vauban, INOVA in Umkirch noch hinzunimmt, kommt man auf 350-400 Arbeitsplätze, also damals knapp ein Promille der Freiburger Arbeitsplätze. Die Löhne, die gezahlt wurden, waren niedrig. Alle Betriebe nahmen ein hohes Maß an ehrenamtlicher Arbeit in Anspruch. Die nichtmaterielle Vergütung in Form von Anerkennung und Zuneigung war in der Regel hoch. Bei aller Gleichberechtigung und Gleichbezahlung wurden Entscheidungen nicht gegen informelle Hierarchien getroffen, sie dauerten nur länger, weil lange Konsensbildungsprozesse in Kauf genommen wurden. Die Probe einer Nachfolgeregelung für die Gründer haben nur wenige Betriebe überstanden.
Der Anpassungsdruck von außen war immer groß. Spätestens bei einer Kreditaufnahme mussten betriebswirtschaftliche Auswertungen erstellt und bilanziert werden. Zumindest verbal musste die Absicht der bloßen Kostendeckung gegenüber der Gewinnerzielungsabsicht aufgegeben werden. Nicht von ungefähr haben fast alle Alternativbetriebe die Rechtsform der BGB Gesellschaft oder des Vereins aufgegeben und die GmbH gewählt, die sich allerdings als sehr geeignetes Instrument alternativer Zielsetzungen erwiesen hat.
Der Tätigkeitsbereich von Alternativbetrieben war recht begrenzt. Ein Alternativer, der seine Lebensmittel und Konsumgüter ausschließlich bei Alternativbetrieben hätte einkaufen wollen, wäre gescheitert. Die üblichen Branchen wurden: Buch, Verlag, Druck, Reparaturbetriebe z.B. Fahrrad, Bau, Schreinerei, Soziale Dienste, alles Branchen, wo das anfängliche learning by doing funktionieren konnte. Die Ausbildung von Meistern erfolgte erst im Lauf der Jahre.
Es ist auffällig, welche Rolle der Immobilienerwerb in Freiburg spielte. Das erforderliche Wissen war relativ leicht erlernbar, Fehler der Betriebsführung führten nicht so schnell zu Nachteilen, im Gegenteil, die bürgerliche Eigentumsordnung schuf die Nische, die diese Betriebe vor dem äußeren Zugriff schützte. Als Garant für langfristig gedrosselte Mieten und Immobilität neutralisierten Eigentums scheinen sie eine langfristige Zukunft zu haben.
Rückblickend muss man die Zielsetzungen der Verbindung von Leben und Arbeiten skeptisch betrachten. Weder im ländlichen Bereich noch in der Stadt hat diese Verbindung zur Stabilität und dem wirtschaftlichen Erfolg der Betriebe beigetragen. Im Gegenteil, menschliche Probleme, überraschende Liebesbeziehungen und persönliche Differenzen haben nicht selten zum Zerfall von Betrieben geführt. Ob und warum das in Freiburg anders war, ist mangels Nachrichten aus dem Inneren nicht zu ermitteln.
Zudem hat in den letzten Jahren der Druck der Konkurrenz zugenommen. Auch kleine Betriebe sehen sich einem europäischen Markt gegenüber, wenn nicht sogar einer Konkurrenz aus Übersee. Der Aufbau von eigenen Netzen ist bisher nur unzureichend gelungen und wurde auch nicht konsequent angegangen. Auf der anderen Seite müssen innovative und am Markt erfolgreiche Unternehmen nicht eine innerbetrieblich alternative Struktur haben. Ökologischer Landbau wird nicht notwendig qualitätvoller, wenn er kollektiv betrieben wird. Photovoltaik, Wasserturbinen und Windräder, energiesparende Haushaltsgeräte und drei Liter Autos wurden bisher von Firmen mit traditioneller Betriebsstruktur entwickelt. Von der Entwicklung von Computern ganz zu schweigen.
Vielleicht ist das doch nicht alles. Es scheint kein Zufall, dass der Mittelpunkt von Spechtpassage, Grethergelände und Fabrik eine Kneipe ist, das Jos Fritz Cafe, das Strandcafe und das Vorderhaus. Alle sind wirtschaftlich stabil. Sie sind Treffpunkte mit einer sichtbar anderen Kultur, einer eigenen Musik, einer bestimmten Weise zu reden. Ein zeitkritischer Grundkonsens ist spürbar, bei dem nicht Konsum, Karriere und wirtschaftliche Sicherheit an erster Stelle steht. Ob daraus etwas Neues entsteht ist offen, aber zumindest ist es eine Funktion solcher Begegnungsstätten, Vorstellungen von einem anderen Leben wach zu halten.

Michael Berger