Hausbesetzer
1970 wurde in Frankfurt Westend erstmals ein leerstehendes Haus besetzt, in Freiburg 1971 in der Freiau. Ihren Höhepunkt hatte die Bewegung 1981, 1987 ging sie zu Ende, schon durch ihre lange Dauer ist diese Bewegung wichtig. Zu den bisher geschilderten Bewegungen gibt es mehrere grundlegende Unterschiede. Den Kern bildeten sehr kleine, sozial gemischte Gruppen, die entweder die Kündigung ihrer Wohnung missachteten oder aktiv eine leer stehende Wohnung besetzten. Anfänglich war das Motiv fehlender Wohnraum, in Freiburg waren es Studienanfänger, die keine Unterkunft fanden. Aber dieses Motiv trat schnell in den Hintergrund, die Besetzer nahmen das Grundgesetz wörtlich: Eigentum verpflichtet, Wohnraum soll nicht zweckentfremdet, luxussaniert und spekulativ vermarktet werden, oder wie in Freiburg einem Autobahnkreuz an der Schnewlinstr. weichen. Die Motive waren also nicht die persönliche Betroffenheit, sondern von Anfang an politisch. In Freiburg gab es unter den Hausbesetzern auch Hausbesitzer. Die punktuellen Regelverletzungen wie Rektorats- oder Seminarbesetzung der Studentenbewegung veränderten sie in permanente Regelverstöße, dauerhafte Besetzung von Häusern. Dabei half das geltende Zivilrecht mit den rechtsstaatlichen Verfahrensvorschriften. Die Besetzungen erfolgten trotz der absehbaren Räumung, der Rechtsbruch sollte Protest gegen Herrschaft überhaupt sein, das war das anarchistische Element der Bewegung. Die Besetzergruppen fanden Zulauf von den K-Gruppen, die hier ein handgreifliches Feld ihrer Kapitalismuskritik fanden. Das war auch in Freiburg so, im Laufe der Jahre haben sich fast alle bei den Hausbesetzungen mit Flugblättern, Broschüren, Demonstrationen und Besetzungen engagiert. In den besetzten Häusern entwickelte sich bundesweit eine eigene Jugendkultur des Zusammenlebens, aus der die Forderung nach autonomen, das heißt herrschaftsfreien, Jugendzentren entstand. Die offenen Häuser zogen noch andere Personengruppen an: Aussteiger, Arbeitslose, Obdachlose, Kleinkriminelle und auch Drogendealer. Das machte das Zusammenleben oft schwierig, schuf aber Distanz zu Marcuses Verklärung der Subkultur.
Öffentlichkeit und Kommunen reagierten verunsichert, obschon die Besetzer ein Heiligtum angriffen, den Hausbesitz. Der Missbrauch des Wohnungseigentums war zu offensichtlich, als dass die Kommunen mit der ganzen Härte des Gesetzes reagieren wollten. Es kam zu Übergangslösungen, wie befristete Nutzungsüberlassung, Terminabsprachen, stillschweigende Duldung. Vielleicht trug dazu bei, dass die Bundesrepublik bis zum Herbst 1977 mit den Gewalttaten der RAF konfrontiert war, denen gegenüber Hausbesetzungen als hinnehmbares Übel erschienen. In Freiburg dürfte auch die gleichzeitige Wyhlbewegung zur Zurückhaltung der Polizei beigetragen haben.
Im Lauf der siebzehn Jahre wurden in Freiburg etwa 40 Häuser besetzt, bundesweit waren es etwa 700. Die erste Räumung mit Polizeieinsatz in Freiburg war im April 1974 die Hummelstraße 6, im August 1975 folgte die Freiau 73-91, im April 1976 die Belfortstraße 34-36. Zwei Besetzer wurden fünf Wochen inhaftiert, was zahlreiche Demos zur Folge hatte. Die nachfolgenden Prozesse gegen die beiden hielten die Wut am Leben. 1977 wurden Teile des Eckhauses Schreiberstraße / Kaiser-Josef-Straße besetzt, das „Dreisameck“. Der Besitzer war pleite gegangen und hatte das Haus an an die Schweizer Lebensversicherung Vita verkauft. Nach weiteren Besetzungen in diesem Gebäude lebten zeitweise bis zu 200 junge Leute dort und entfalteten eine vielfältige autonome Kultur. Im Juni 1980 erstürmen 2.000 Polizisten das Gebäude, die Vertriebenen besetzten umgehend den Schwarzwaldhof zwischen Schwarzwaldstraße und Talstraße. 10.000 Demonstranten bekundeten ihre Zustimmung. Acht Monate lebten die Besetzer dort, die Szene hatte sich verändert: Hippies, Politfreaks, Junks und Punks überwogen Autonome, Studies, Straßenmusiker und Arbeitslose. Im März 1981 wurde die Moltkestraße 34 besetzt. Als die Stadt am folgenden Tag das Haus räumte, wurde in der Nacht darauf die Innenstadt „entglast“, die so genannte Freiburger Scherbennacht. Die Abstimmung über die Aktion (Scherben ja oder nein) wurde nach heftiger Diskussion mit einer einzigen Stimme Mehrheit „pro Scherben“ entschieden. Den Ausschlag für diese Mehrheit gaben vermutlich verdeckte Ermittler. Am darauf folgenden Morgen wurde der SWH von 4.000 Polizisten umstellt und geräumt, alle Anwesenden verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Zwei angebliche Rädelsführer wurden in Baden-Baden und Karlsruhe inhaftiert und ihnen später der Prozess gemacht. Die bisher größte Demonstration in Freiburg am 13. März 1981 mit 12.000 Teilnehmern offenbarte die Sympathie mit den Besetzern. Im Mai 1981wurde der Schwarzwaldhof abgerissen.
In dieser zugespitzten Situation fand sich eine Bürgergruppe zusammen, die vermitteln wollte. Sie gruppierte sich um Pater Paulus vom Dominikanerkloster, Sissi Walter von der Brauerei Ganter und Rolf Böhme, der für das Oberbürgermeisteramt kandidierte. Sie vermittelten das ehemalige Marienkrankenhaus als Ersatz für den Schwarzwaldhof und bürgten für Schadensersatz, falls die Besetzer nicht wieder auszögen. Etwa 30 Personen nahmen das Angebot an und zogen ab April 1981 für 7 Monate ins „Mariengrab“. Im November 81 besetzten sie die Erbprinzenstraße 20 („Erbse“). Andere aus dem SWH, die mit dieser versöhnlerischen Linie nicht einverstanden waren, besetzten am 7. April die Wilhelmstraße 36 („Willy 36“). Im selben Jahr folgen noch eine Reihe von Besetzungen und teilweise schnellen Räumungen. Im Oktober 1981 wurde im Glacisweg das AZ (Autonomes Zentrum) besetzt, in der die Szene für drei Jahre ihre eigene Kultur entwickeln konnte.
Mit der Wahl von Rolf Böhme zum Oberbürgermeister im Oktober 1982 begann die letzte Phase des Häuserkampfs. Mit der Devise “Ja zu Toleranz und alternativen Lebensformen, nein zu Rechtsbruch und Gewalt“ taktierte er die nächsten Jahre. Mit dem besetzten „Grethergelände“ wurde über Anmietung verhandelt, er duldete 1984 die Besetzung des Weinschlösschens (Wilhelmstraße) und des Schlossbergrings 9-11, vermittelte 1985 den „Punks“ einen Ersatz für ihren Treffpunkt „Crash“ als Ersatz für den im abgebrannten AZ. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Sparkasse verhinderte er 1986 einen Kredit zum Kauf der Spechtpassage und bewog andere Freiburger Banken zum gleichen Verhalten. Er vermittelte den Arbeitskreis alternativer Kultur (AAK) ins E-Werk, das Kinder- und Jugendtheater ins Marienbad und das Kommunale Kino in den alten Wiehre Bahnhof. Als eine Handvoll Radikaler nach dem Vorbild der Berliner Maikrawalle am Pfingstsamstag 1987 im Grün Bauwagen anzünden und Molotowcoctails gegen Polizeibeamte und Feuerwehr warfen, ergriff er die günstige Gelegenheit: Alle besetzten Häuser und die Wagenburg im Vauban wurden binnen eines Monats gewaltsam geräumt. Böhmes hochprofessionelle Strategie des „Spaltens und Herrschens“, verbunden mit abwartendem Legitimationsentzug, war aufgegangen. 20 Jahre blieb Rolf Böhme im Amt.