Soziale Bewegungen in Freiburg

Der SDS in Freiburg

Freiburg hatte 1968 ca. 150.000 Einwohner, davon 15.000 Studierende. Frühere Protestbewegungen wie die Kommunisten und der heftige Widerstand gegen die Wiederbewaffnung waren verschwunden. An der Uni Freiburg gab es schon länger eine Gruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes. Der SDS war im September 1946 als Studentenverband der SPD gegründet worden und Helmut Schmidt war 1947 sein Bundesvorsitzender geworden. Zum Bruch mit der SPD kam es über das Godesberger Programm 1959, zwei Jahre später beschloss die SPD die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft von SDS und SPD und gründete eine neue Studentenorganisation: den SHB.

Nach der Ermordung von Benno Ohnesorg im Juni 1967 traten etwa 20 neue Mitglieder in den Freiburger SDS ein. Drei Fachrichtungen waren vor allem vertreten: Germanistik (Klaus Theweleit), Psychologie (Fritz Erik Hoevels) und Soziologie (Walter Moßmann und Daniel Basi). Juristen wie Michael Moos, waren die Ausnahme. (Andere Mitglieder waren Johannes Merkel, Gerhard Wiese, Irmgard Woll, Raimar Zons, Eckhard Brockhaus, UIli Schmidt, Reinhold Bianchi, Bernd Haynmüller, Franz Kern, Ulf Datan, Frieder Bauer). Erhard Lucas war so etwas wie der theoretische Kopf der Gruppe. Fast die Hälfte der Gruppe waren Jazzer und Rocker, ein wichtiges Bindeglied war die Musik. Die Blaskapelle „Rote Note“, angeleiert von Peter Schleuning und Mechthild Fuchs, ging daraus hervor. Ein Großteil wohnte auch zusammen in zwei WGs in der Immentalstraße und der Gartenstraße. Die WGs waren offen für jeden, der an SDS-Aktionen interessiert war. Auch für viele Schüler waren diese WGs ein Treffpunkt, woraus die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Sozialistischer Schüler hervorging. Sie war der verlängerte Arm des SDS, durch sie wurden Aktionen an den Schulen unterstützt und politische Ideen verbreitet. Jeden Montagabend traf man sich in der alten Uni. Es wurden Referate über die Psychoanalyse von Reich (z. B. „Die Funktion des Orgasmus“) gehalten, man las Autoren der Frankfurter Schule: M. Horkheimer, T.W. Adorno, J. Habermas und H. Marcuse. Alles, was man vorher allein gemacht oder in Kneipen-Gruppen geredet hatte, bekam öffentliche Relevanz. Abends traf man sich im Republikanischen Club (RC) im ehemaligen Europäischen Hof gegenüber dem Bahnhof. Eine Sperrstunde war dort unbekannt.
Die erste große Aktion richtete sich gegen die Fahrpreiserhöhung der Straßenbahn. Nach dem Vorbild von Köln, Berlin und Hannover wurde am 1.Februar 1968 der Bertholdbrunnen besetzt und damit der gesamte Verkehr lahmgelegt. Führend waren die Schüler, sie stellten auch die Masse der Teilnehmenden. Das Einschreiten der Polizei beendete den friedlich begonnenen Protest mit einer Straßenschlacht unter dem erstmaligen Einsatz von Wasserwerfern in Freiburg.
Für die Gruppe war der Durchbruch auf die Straße wichtig, da sie bei ihren „eigenen“ Themen in der Universität, wie Drittelparität in den Universitätsgremien und Kritik der Lehrinhalte noch auf wenig Interesse bei der Allgemeinheit stieß. Bei den „Teach-Ins“ gab es heftige Gegenwehr anderer studentischer Organisationen. Unterschriftensammlungen gegen die Notstandsgesetze und Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg wurden organisiert. Die Schüler traten in einen eintägigen Streik, auf den die Lehrer kopflos reagierten, das Goethe- und das Rotteckgymnasium abschlossen, damit die SchülerInnen nicht an der Demo teilnehmen konnten.
Flugblätter waren ein überaus wichtiger Bestandteil der SDS-Propaganda. Sie wurden im ASTA gedruckt, Siegfried de Witt, später Anwalt der Bürgerinitiativen Wyhl, war Asta-Vorsitzender. Die „Freiburger Studentenzeitung“ (FSZ) wurde weitgehend von SDS-Autoren übernommen (Johannes Merkel, Heidi Reichling, Klaus Theweleit, Ekkehard Werner, Michel Moos, Nicolas Becker, Thomas Berger). Der Verkauf von linken Broschüren und Büchern lief über den SDS-Büchertisch in der Mensa, bis Ende 1968 „libre libro“, ein eigener Buchladen des SDS, in der Herrenstraße 53 eingerichtet werden konnte.

Gezielte Regelverletzungen gehörten zur Strategie der Gruppe. In der Grundordnungs-Versammlung, die die neue Verfassung der Universität beriet, setzte man sich verspernd auf die Plätze der Professoren, die daraufhin panikartig den Saal räumten. Zweimal wurde die Versammlung gesprengt, da die Gruppe erkannte, dass die Professoren nur auf Zeit spielten, um ihre Macht zu erhalten. Im Januar 1969 wurde das Rektorat besetzt, man rauchte die vorhandenen Zigarren und gründete dort Basisgruppen für die einzelnen Fakultäten und begutachtete das Goldene Buch der Universität, vor allem die Einträge aus der NS Zeit.
Ostern 1968 beteiligte sich der Freiburger SDS an der Blockade der Springerdruckerei in Esslingen bei Stuttgart. 30-40 Autos fuhren nach Esslingen und blockierten das Werk. Es gab an einem Tag keine Bild-Zeitung.

Der Freiburger SDS hatte verschiedene Projektgruppen. Die Betriebsprojektgruppe organisierte Seminare für Lehrlinge und Arbeiter, oft gemeinsam mit Gewerkschaften, und verteilten Flugblätter vor Freiburger Betrieben. Eine zentrale Rolle spielte die „Projektgruppe Internationalismus“, gegründet von Daniel Basi und Walter Moßmann. Es gab eine klare Abgrenzung zu Amnesty International und zur Dritte-Welt-Gruppe, die 1969 vom Sozialistischen Hochschulbund (SHB) gegründet worden waren. Die Projektgruppe rief zu Spenden für Waffen zur Unterstützung des Vietcong und südamerikanischer Befreiungsbewegungen auf. Als der Film ‚The Green Barrets‘, mit John Wayne – eine Verherrlichung der US-Taten in Vietnam – in Freiburg anlief, verhinderte die Gruppe die Premiere im Friedrichsbau.