Die Frauenbewegung
Die neue Frauenbewegung bestand fast ausschließlich aus Akademikerinnen. Handwerker- oder Arbeiterfrauen waren so gut wie nicht beteiligt. Wie die Studentenbewegung hatte die neue Frauenbewegung keine feste Organisation. Auch die Frauen sahen ihr persönliches Schicksal als gesellschaftlich verursacht, allerdings nicht durch die Klassengesellschaft, wie die Studentenbewegung glaubte, sondern durch das Patriarchat. In Absetzung von der Studentenbewegung orientierten sich die Frauen am Vorbild der amerikanischen Frauenbewegung mit dem vietnamesischen Sprichwort: „Sprechen über Schmerzen, um Schmerzen zu erinnern“. Die intensive Kommunikation über individuell erlebte Probleme sollte die gesellschaftlichen Ursachen offenlegen und neue Lösungen ermöglichen. Der Kern dieser neuen Bewegung waren daher Selbsterfahrungsgruppen. Themen erfahrener Unterdrückung waren die Mutterrolle, die kirchliche Moral, Sexshops und Prostitution, Frauenärzte und das Abtreibungsverbot des § 218. Die Benachteiligung im Beruf, Unterbezahlung, Doppelbelastung durch Haushalt und Berufstätigkeit waren vorerst keine Themen, da sie von der älteren bürgerlichen und sozialistischen Frauenbewegung besetzt waren. Die Besonderheit der Frauenbewegung war, dass die kleinen Initiativgruppen sich in vielen Bereichen betätigten und – anfangs belächelt und abgelehnt – den jeweiligen Frauenaspekt zur Geltung brachten. Die Bewegung erlahmte Mitte der achtziger Jahre mit der zunehmenden öffentlichen Akzeptanz ihrer Anliegen.
In Freiburg setzte die neue Frauenbewegung erst 1972 mit einem Aufruf von Frauen an der Pädagogischen Hochschule zu einem Frauentreff ein. In anderen Städten waren solche Gruppen schon ab 1968 in Abgrenzung vom SDS entstanden. Der Kampf gegen den § 218 zeitigte auch in Freiburg viele Aktionen: ein Go in ins Münster, öffentliche Kirchenaustritte, eine Demonstration mit 400 Frauen, Flugblätter, Stadtstände und organisierte Abtreibungs- Busfahrten nach Holland, ein Tribunal im Audi Max. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 1975 fanden diese Aktivitäten allmählich ihr Ende. Nur langsam entwickelte sich eine Infrastruktur: ein Frauentauschladen in der Hummelstr. 6 (einem besetzten Haus) Frauenfeste, Frauenkalender, Frauenzeichen und Aufkleber und schließlich ein Frauenzentrum im Mai 1975 in Schwarzwaldstr. 85 und ab Mitte 1976 in der Louisenstr. 5. Dort bildeten sich Gesprächsgruppen über: Organisation, Rechtsberatung, medizinische Beratung, Psychoanalyse, Selbstuntersuchung, Selbstfindung, Musik und Improvisation.
Innerhalb der Gruppierung entstand eine stärkere Differenzierung. Eine Gruppe, die sich „Frauenkollektiv“ nannte, engagierte sich in der Bewegung gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl. Eine zweite Gruppe „Frauen lernen gemeinsam“, stellte ihre berufliche Zukunft in den Mittelpunkt der Arbeit. Im Zentrum in der Louisenstr. bezogen sie das Erdgeschoss. Das mit eigenem Zugang getrennte Obergeschoss wurde immer mehr zum Lesbenzentrum. Sie vertraten die Position, dass nur Lesben die wahren Feministinnen sein könnten, da sie gänzlich mit dem anderen Geschlecht gebrochen hätten. Viele Frauen, die sich nicht zu dieser radikalen Konsequenz entschließen konnten, zogen sich vom Zentrum zurück. Aus dem Umkreis der Gruppe „Frauen lernen gemeinsam“ gingen verschiedene, personell kleine Initiativen hervor, zum Teil von den immer gleichen Frauen. Die Arbeit an der Universität wurde verstärkt, Fachgruppen setzten Frauenthemen in Lehrveranstaltungen durch, hielten selbst organisierte Seminare, nahmen an Frauenforschungsprojekten teil, und bemühten sich um eine Frauenprofessur. Andere beteiligten sich an den Hausbesetzungen und an der Friedensbewegung. Es entstand ein Frauenbuchladen und Frauenbuchverlag. Von 1982 bis 1990 erschien die „Freiburger Frauenzeitung“ ab 1986 bestand eine Frauenredaktion beim Radio Dreyeckland, ein feministisches Archiv sammelte Dokumente zur Freiburger Frauenbewegung. Es gab zähe Verhandlungen mit der Stadt um ein Frauenhaus und ein Frauentaxi. Emily Meyer kandidierte bei der Oberbürgermeisterwahl 1982 und erhielt 4,5% der Stimmen, 1987 erhielt Freiburg die erste Gleichstellungsbeauftragte Baden- Württembergs.